Montag, 25. April 2011

[In eigener Sache] Ein Mord an Bord und meine zweite (erste) Veröffentlichung ... irgendwie.


Es ist eine Fanzine und ich weiß nicht, ob das wirklich zählt, aber erwähnen möchte ich es wenigstens. Die Geschichte selbst geht eine Weile zurück: Wir schreiben das Jahr 2009 ...

Nein, keine Bange, hier die Kurzfassung: 2009 nahm ich am Storywettbewerb in memoriam Peter Terrid teil und schloss mit dem achten Platz ab, sowie einem Sonderpreis für den jüngsten Teilnehmer. Ausgelobt wurde der Preis vom Terranischen Club EdeN, einem Fanclub u.a. der Perry-Rhodan-Serie. Der Club bringt zudem die Fanzine "Paradise" heraus. Und in der Märzausgabe 2011, "Paradise 83", war meine Fassung der Titelstory "Mord an Bord" abgedruckt. Mein Exemplar ging mir letzte Woche zu. Auf meiner Autorenwebsite (hier) findet ihr den Text. Und ich stelle ihn hier auch nochmal online:

Mord an Bord
(Christian Allner, Storywettbewerb in memoriam Wolfpeter Ritter alias Peter Terrid, Platz 8 zzgl. Sonderpreis als jüngster Teilnehmer, 2009)

Entspannt lag sie auf einer Vibrationsliege im Spa-Bereich der EOS. Über ihr drang das Leuchten eines wunderbar rot und grün schimmernden planetarischen Nebels durch die transparente Decke. Ein angenehmer Seufzer entwich ihr als sie die Augen schloss und sich in die warme Liege kuschelte.

Die momentane Atmosphäre konnte sie einfach nur als wohlig beschreiben. Dabei war ihr Terminkalender für den heutigen Tag mehr als voll: Schlammkuren, Solebäder, Duftstoffbehandlungen und Entspannungs-Druckpunkt-Massagen erwarteten sie.

Normalerweise stand sie derlei Dingen abgeneigt gegenüber. Sie war eine einfache Frau, die allein ihrer eisgrauen Mähne morgens einen fahrigen Strich mit den Fingern gönnte. Doch hin und wieder musste man sich auch einmal entspannen. Entspannen und Vergessen.

Heute war der 31. Dezember 1199 NGZ. Sie war nun seit vier Tagen an Bord der EOS, wie die EMPRESS OF THE OUTER SPACE der Einfachheit genannt wurde, und heute war Silvester. Sie wunderte sich immer wieder, wie solche Sitten sich über Jahrtausende halten konnten. Man feierte Weihnachten, die Landung der STARDUST auf dem Mond, sogar Karneval - und natürlich Silvester. Doch gerade das war ihr eher zuwider.

Seit Charles vor über einem Jahr ermordet wurde, fand sie keinen sonderlichen Gefallen mehr an diesen gesellschaftlichen Ereignissen. Silvester empfand sie ohnehin immer als viel zu laut und zu grell.

Sie öffnete die Augen, betrachtete das halbvolle Glas mit arkonidischem Brandy auf dem Beistelltisch und griff danach.

„Salute“, murmelte sie und schüttete den restlichen Alkohol die Kehle runter. Dann sprang sie aus der Vibrationsliege auf.

Es war als wäre sie gerade aus einem Traum aufgewacht. Nein, das war nicht Lhoreda Machecoul!

Die echte Lhoreda war Kosmokriminalistin und kein Urlauber. Die echte Lhoreda würde wahnsinnig werden, wenn sie über Wochen jeden Tag nur faulenzen würde. Sie brauchte die Aufregung, die Gefahr und die Strapazen, die ihr Beruf mit sich brachten. Dann erst fühlte sie sich lebendig! Die echte Lhoreda ergriff wieder Besitz von ihrem Körper und verspottete ihr anderes Ich, das sich von Klangkerzen, schönen Düften und leiser Musik hatte einlullen lassen.

Sie hoffte jedoch, dass die Methoden bei den anderen knapp 1.800 Passagieren Wirkung zeigten. Denn obwohl sie – inoffiziell – der EOS für diese Reise als Sicherheitsbeauftragte zugeteilt wurde, wollte sie nicht zwingend in einem Kriminalfall ermitteln müssen.

„Ihr wisst schon, was Ihr tun müsst, um eure Passagiere leise zu halten“, sprach sie in keine bestimmte Richtung.

Wie zur Antwort erhielt sie eine allgemeine Durchsage, in der die Gäste im Spa-Bereich gebeten wurden, diesen innerhalb der nächsten Stunde zu räumen.

Sie wandte sich den Umkleiden zu, um den Badeanzug loszuwerden.



Mit praktischerer Kleidung am Körper schlenderte sie kurz darauf durch die weiten Gänge der EOS. Gerade überquerte sie einen in den Boden eingelassenen schematischen Aufriss des Schiffes – eine nach Achtern von zwei Kegeln flankierte Kugel.

Da die EOS über ein modernes Lift- und Laufbandsystem verfügte, war sie in nur wenigen Minuten im Kabinenabteil NGZ D III angelangt.

Als sie an ihrer Kabinentür war, bemerkte sie, dass ein arkonidischer Stewart mit einem Geschenk an ihre Nachbarkabine klopfte, Nr. 72. Aus der reinen Kuriosität, die der Arkonide darstellte, war Lhoreda neugierig. Dieses Volk sah sich als Herrscher aller anderen, daher waren Berufe in der Dienstleistungsbranche schon sehr ungewöhnlich.

Da Lhoreda aber nicht ewig an ihrer Kabinentür stehen bleiben konnte, hörte sie nur noch, wie ihr Zimmernachbar, eine Frau, die Tür öffnete und mit dem Stewart ein Gespräch begann. Als Lhoreda ihre Tür gerade schloss, ertönte ein Aufschrei und erklang ein dumpfes Poltern.

Sie stürmte wieder auf den Gang und stutzte. Der Stewart lag mit dem Geschenk auf dem Boden des Ganges – und die Empfängerin hatte ihre Kabinentür zugeknallt.

Da sie ohnehin schon da stand, bot Lhoreda dem Mann ihre Hilfe an und erhielt als Dank verbale Prügel.

„Was fällt der denn ein? Bin ich hier etwa der einzige Arkonide, den sie treten kann? Ich bin Ginor da Kudiron und nicht irgendein Prügelknabe!“ Er fegte Lhoredas angebotene Hand bei Seite, stand aus eigener Kraft auf, trat gegen das Geschenk und verschwand in einer hasserfüllten Staubwolke den Gang hinunter.

Etwas verdutzt zurückbleibend, war Lhoredas Interesse dem Paket zugewandt, als sie hinter sich wieder eine Tür knallen hörte. Sie drehte sich um und sah ihre Zimmernachbarin aus ihrer Kabine stürmen. Sie würdigte Lhoreda keines einzigen Blickes.

Sie ergänzte das Paket noch um eine weitere Beule und verschwand.

Lhoreda wollte der Frau noch etwas hinterherrufen, aber die war schon eine kleiner werdende Silhouette in der Ferne.

Lhoreda sah sich um und schnappte sich das Paket. Wieder in ihrem Zimmer begutachtete sie das Objekt: Klassisch in Silberfolie verpackt und mit einer Grußkarte versehen, bot es nun, da man geradezu auf es eingedroschen hatte, einen erbärmlichen Anblick.

Ihre Hände ruhten auf dem Objekt und in ihr orchestrierte ihr Gewissen ein Konzert, welches ihr verbot, das Paket zu öffnen. Sie wand sich innerlich, war zwischen Neugier und Anstand hin und her gerissen. Schließlich beließ sie es dabei, das Paket auf der Kommode abzustellen, und verschwand im Bad.



Nach zwei Stunden der Selbsgeißelung schritt Lhoreda den inzwischen ausgeschmückten Spa-Bereich ab. Mit ihren hochhackigen Schuhen konnte sie sich kaum anfreunden, ebenso wenig mit dem kompliziert ausgeschnittenen Kleid. Sie fürchtete jeden Moment, dass irgendeiner der dünnen Stofffetzen reißen oder sich irgendwo verhaken würde. Am liebsten wäre sie in einem für sie normalen Dress gekommen, doch sie war zum so genannten Captain's Dinner eingeladen, weswegen eine gewisse Form gewahrt werden musste. Die Form, in die man sie hineinzwang, wollte ihr jedoch so gar nicht passen.

So schlenderte sie recht ausdruckslos und leicht wackelig auf den Tisch des Kommandanten zu, der auf dem höchsten Punkt einer gewölbten Klarsichtplatte thronte, die sich nun über das gesamte Schwimmbecken des Spa-Bereichs zog.

Von unten reflektierte das angeleuchtete Wasser in wunderbarer Weise. Von oben leuchteten Dutzende Sterne und der planetarische Nebels. Sie wagte einen Blick in die Höhe und bemerkte, dass die Sterne und kosmischen Gase heller brannten als am Nachmittag. Vermutlich sorgte eine einfache Positronik dafür, dass das eintreffende Licht wie unter einer Lupe verstärkt wurde.

Ihr weiterer Weg führte sie schlussendlich zum runden Tisch von Gharun Ferdinho. Der hochgewachsene und schwarzhäutige Glatzkopf war gerade in ein Gespräch mit einem tellerköpfigen Blue vertieft, als er Lhoredas Ankunft bemerkte. Nach dem Austauschen einiger Höflichkeitsfloskeln, die auch nach Jahrtausenden von den Herren gegenüber den Damen nicht aufgegeben wurden, setzte sich Lhoreda. Ein kleiner Stich in ihre Seite weckte dabei die Eitelkeit und veranlasste sie zu einer mentalen Notiz, dass sie im neuen Jahr etwas mehr Sport treiben sollte. Aber für gute Vorsätze war der heutige Silvester-Abend ja auch geradezu geeignet.

Lhoreda wurde die Ehre des Captain's Dinners gewährt, weil der Kommandant ihren persönlichen Bericht möglichst unauffällig halten wollte, denn der Ruf eines Kreuzfahrtschiffes und seines Kapitäns bedeutete sehr viel. Denn Passagiere – vor allem die weiblichen – schlenderten selten auf die Brücke oder in die Kapitänskajüte ohne, dass sich die anderen Passagiere ihre Mäuler darüber zerrissen.

Er wandte sich recht ungezwungen an Lhoreda.

„Ich darf doch hoffen, dass Ihnen Ihr bisheriger Aufenthalt hier an Bord zugesagt hat, Miss Machecoul?“

„Bislang war alles recht ereignislos verlauf-“, wurde sie unterbrochen als es plötzlich dunkel wurde. Aus dem leisen gesellschaftlichen Gemurmel wurde ein durchdringendes Getöse. Vereinzelte Aufschreie waren zu vernehmen sowie ein Schieben und Klirren als Stühle zurückgestoßen oder Gläser aus Schreck fallen gelassen wurden.

Der Grund für den plötzlichen Lichtabfall, erkannte Lhoreda, war die „Beleuchtungsanlage“: Der planetarische Nebel, dessen Licht verstärkt wurde, verschwand zur Seite.

Das Schiff muss abgedreht haben, dachte sie und blickte im fahlen Restlicht zu Ferdinho, der wie einige andere Passagiere ebenfalls aufgestanden war.

„Das Schiff muss abgedreht haben“, murmelte er, was Lhoreda ob der übereinstimmenden Worte etwas amüsierte. In diesem Moment wurde es aber schon wieder hell, denn nun sprangen die normalen Lichtkörper an. Das verstohlene Restlicht und die wasserleichenblassen Gesichter nahmen wieder Farben an, die für Menschen als gesund gelten durften.

Lhoreda wandte sich an den Kommandanten: „Was könnte die Kursänderung bewirkt haben?“

„Asteroiden, Gasblasen oder anderes“, lautete die knappe Antwort, die kurz darauf durch eine allgemeine Durchsage bestätigt wurde.

Der Erste Offizier gab bekannt, es sei der Besatzung und der Reederei außerordentlich unangenehm, dass man die Gäste kurzzeitig vom Feiern abhalten musste und man versichere, dass dies die einzige Störung des Abends sei.

Wie zur Bekräftigung erhob sich Gharun Ferdinho nun zu voller Größe und richtete nochmal ähnliche Worten an die anwesenden Gäste. Der Saal beruhigte sich wieder und ging seinen eigenen und natürlich sehr viel wichtigeren Beschäftigungen nach.

Doch erneut wurde man unterbrochen. Der Aufschrei einer jungen Dame nahe der Terkonitfenster führte dazu, dass sich erneut viele der Gäste, diesmal etwas ungehaltener, dem Spektakel zuwandten ... und erstarrten.

Hinter der Scheibe, in einem Abstand von vielleicht zwanzig Metern, trieb ein humanoider Körper vorbei. Nach den langen Haaren und der Silhouette, die sich vor dem leuchtenden Nebel abzeichnete, war es wohl eine Frau.

Lhoreda saß einfach nur da und musste unwillkürlich an ihre zurückliegenden Worte denken. Recht ereignislos.

Nun, dies würde sich ändern.


Die folgenden Stunden waren so ereignisreich, aber ergebnislos, dass eine detaillierte Wiedergabe den Rahmen sprengen würde.

Die Leiche wurde per Transmitter an Bord gebracht und in einem abgeschlossenen Areal der medizinischen Station aufgebahrt und untersucht. Sie, eine Halbarkonidin, starb eindeutig durch das Vakuum im Weltraum, dem sie ungeschützt ausgesetzt war. Ihre Lungenbläschen waren durch den starken Unterdruck geplatzt. Lhoreda strich über ihre Haut und stellte fest, dass sie sich wie Glas anfühlte. Die weißen Haare mit feinen schwarzen Strähnen waren ganz kraus. Durch einen einfachen Biometrie-Test stellte der Autopsieroboter fest, wer die Person war: Aliae Ojaris, eine Passagierin an Bord der EOS. Kabinennummer NGZ D III-72.

Sie war die wütende Frau mit dem Paket. Lhoredas Zimmernachbarin.

Das machte den Fall für Lhoreda noch intimer. Zunächst war es ein Mord, wie bei Charles. Dann auch noch ihre Zimmernachbarin. Also eine Person aus Lhoredas unmittelbarer Umgebung.

Nur hatte Lhoreda noch nie einen Mordfall bearbeitet. Aus einem Erfahrungsschatz konnte sie also nicht greifen. Auch würde sich die Aufklärung als äußerst schwierig erweisen, denn in rund zwei Stunden begann das Jahr 1200 NGZ. Also waren alle möglichen Zeugen auf den verschiedenen Neujahrsfeiern im Schiff verteilt – und die Feiern für Verhöre kurzfristig abzublasen hatte ihr Gharun Ferdinho verboten. Es würde einer Insolvenzerklärung des Reeders gleichkommen, hatte er gemeint.

Also würde alles wie geplant ablaufen. Die Gäste, die vom Mord bereits wussten, wurden jedoch zur geschlossenen Gesellschaft erklärt. Man würde sich am Neujahrstag damit beschäftigen. Aber das gefiel Lhoreda nicht.

Schulden ins neue Jahr mitnehmen war noch nie gut.

Doch zunächst zog sie sich um. Nach einer Feier war ihr nicht mehr.

Inzwischen war ihre besondere Rolle an Bord auch deutlich ins Auge gestochen, denn im Ballsaal durfte niemand außer ihr dem Kommandanten in die Leichenhalle folgen.

Also zog sich Lhoreda in ihr Quartier zurück und wechselte die Kleidung. Das elegant anzusehende Kleid fand sich schnell auf dem Boden und sie sich in einem praktischeren Dress wieder.

Dann befasste sie sich mit den Daten, die ihr über Ojaris vorlagen. Ferdinho hatte ihr zumindest Zugang zu den Passagierakten gewährt. Viel konnte sie aber nicht erfahren.

Tag der Buchung, Buchender, Name des von der Buchung Begünstigten, Tag der Anreise, Versicherung und Versicherungshöhe, Wohnklasse und so weiter und so fort. Alles half ihr im Moment nicht und so legte sie die Akte erstmal beiseite.

Lhoreda konnte aufgrund der Order Ferdinhos heute ohnehin nichts ausrichten, also ließ sie sich enttäuscht aufs Bett fallen und grübelte.

Denk nach, Mädchen. Wer kommt hierfür in Frage?

Als erste Person fiel ihr natürlich der arkonidische Stewart ein. Ginor da Kudirons Stolz und Gesäß waren von Aliae angekratzt worden und die alten Arkoniden hatten wegen gekränkter Gefühle oft genug Blutfehden begonnen.

Aber nein; sie traute dem Mann eine solche Tat eigentlich nicht zu. Er war arrogant, aber dafür schien er ihr zu feige.

Dann kam Lhoreda eine Idee und sie sprang auf, schritt zu dem beschädigten Paket und besah es sich. Es war in Silberfolie verpackt, aber ohne postalische Siegel oder Markierungen. Also musste es von Bord stammen. Sie öffnete es ... und war irritiert.

„Zettel?“, stieß sie in den Raum und griff nach einem der zerfetzten Blätter. „Nein, Moment. Keine Zettel, sondern ... ja, Rechnungen. Ziemlich hohe Rechnungen.“

Dann stießen ihre suchenden Finger auf etwas Hartes. Im ersten Moment fürchtete sie bereits eine Bombe oder einen anderen Sprengsatz, aber dann schallt sie sich einen Narren. Der Stewart ließ es fallen und Aliae hatte danach getreten. Jede Bombe hätte bei solchen Erschütterungen hochgehen müssen.

Sie schob die Rechnungsfetzen weg und legte eine Schatulle frei. Sie nahm das kleine Objekt heraus und besah es sich: Eine schwarze, samtene Oberfläche. Quaderförmig. Sie öffnete es.

Musik setzte ein und ein Hologramm erschien.


Zwei in sich verschlungene Gestalten tanzen in der Leere der Ewigkeit, untermalt von den rhythmischen Klängen eines Liebeslieds. Eine hintergründige Stimme singt. Liebe auf den ersten Blick. Silhouetten im morgendlichen Dämmerlicht. Liebkosungen tauschend, sich Küsse gebende Gestalten. ...


Lhoreda schlug nach Sekunden lähmenden Schmerzes die Spieluhr zornig zu und knallte sie auf die Tischfläche.

Sie schluckte schwer und rang zittrig nach Luft. Blind nahm sie einige Schritte Abstand von dem Kästchen. Ihr fiel das Atmen schwer und sie öffnete wieder ihre Augen. Tränen standen darin.

Charles wurde vor über einem Jahr ermordet, aber sie spürte den Schmerz in diesen Momenten stärker als alles andere.

Das war ihr Lied, was da gespielt wurde.

Es war Jahre her und er hatte es im Scherz gemeint, aber Lhoreda behielt es im Gedächtnis. Sie trug und nährte diese Erinnerung in sich, bis diese ein Teil ihres Selbst war und sie unbedingt daran glaubte – oder daran glauben wollte.

Dieses Lied nun wieder zu hören war ... schrecklich. Dieses Stechen in der Brust hatte Lhoreda nicht erwartet. Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie fühlte sich in ihrer eigenen Haut plötzlich unwohl. Sie war traurig überrascht, dass es auch noch nach so langer Zeit in ihr derart weh tat.

„Nein, nein, nein!“, ermahnte sie sich, „Konzentriere dich. Du hast etwas zu tun. Ver-“ ... -schwende keine Zeit.

Sie konnte es nicht laut aussprechen, weil ihr dieser Satz sofort wie ein Sakrileg vorkam. Zeit und Gedanken an ihn verschwenden. Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt, dass sie überhaupt so etwas dachte.

Er war ihr Mann – und sie hatte ihn geliebt.

Aber sie hatte recht. Dies gehörte nicht hierher.

Sie drängte die Tränen zurück. Die starke Lhoreda übernahm die Kontrolle und wischte die Augen trocken, versuchte sich zu sammeln.

Sie wandte sich von dem Kästchen ab – es war für sie zu Pandoras Büchse geworden. Mit einem Räuspern drehte sie sich dem Paket selbst zu. Die letzten traurigen Gedanken unterdrückend und ignorierend, stürzte sie sich in die Analyse der Rechnungen:

Sie endeten auf dem Tisch, denn Lhoreda schüttete sie allesamt aus, um sie zu sortieren. Bei der Masse an Material war es eine Sisyphos-Arbeit.

Nach einer halben Stunde, es war inzwischen 23 Uhr durch, gelang es ihr, vier Rechnungen zu ihrer ursprünglichen Komposition zusammenzufügen. Drei der vier ausgestellten Zettel gingen auf Allergie-Therapeuten zurück und auf etwas, das sich wohl Morbus ferm vulgaris nannte.

„Also irgendeine Krankheit“, murmelte Lhoreda und gab diese Stichworte in den Schiffscomputer ein. Die Syntronik gab nach wenigen Momenten eine Liste mit mehreren Ergebnissen an und hob ein Stichwort aus der PP-Enzyklopädie besonders hervor.

Die Ferm-Krankheit, so hieß es dort, ist eine durch Transitionen hervorgerufene Allergie, die bislang ausschließlich bei arkonidisch-lemuriden Völkern aufgetreten ist. Der genaue Krankheitsverlauf ... interessierte Lhoreda nur marginal.

„Moment“, entfuhr es ihr plötzlich und sie las sich die Absätze erneut durch. Ihre Gedanken begannen zu rasen.

Die Krankheit befiel nur Arkoniden. Aliae war eine Halbarkonidin. Sie war tödlich, aber therapierbar. Die Rechnungen – jede mindestens ein halbes Jahr alt – bewiesen, dass sie therapiert wurde. Es war sehr teuer. Also musste jemand sehr viel dafür bezahlt haben.

Da fiel Lhoreda wieder etwas ein.

Hektisch kramte sie nach dem Speicherkristall und rief die Akte über Ojaris auf. Sie las die Angaben erneut und stockte plötzlich bei der Zeile Name (Buchender). Dort stand der Name Anthon da Horal.

Ein Arkonide. Eindeutig.

Doch bewies das bereits etwas?

„Komm schon, denk, denk“, drängte sich Lhoreda. Sie hielt nichts mehr auf dem Sessel vor dem Syntronik-Terminal. Sie sprang auf und ging stur durch ihr Zimmer, die kleine Kabine dauernd auf- und abgehend. Laut sprach sie zu sich: „Nehmen wir an: Anthon ist der Partner von Aliae. Sie hatte diese Krankheit, hat sie aber überwunden. Das hat viele Galax gekostet. Anthon hat viel ausgegeben. Jetzt ist Aliae auf einer Luxusreise, die Anthon bezahlt hat. Er schickt ihr dieses Paket mit den Rechnungen und der Spieluhr. ... Sie ... Sie sieht das Paket. Sie rastet aus und rennt aus ihrer Kabine. Wenig später ist sie tot. Womöglich Selbstmord aus Kummer?“

Doch diesen Gedanken verwarf sie sofort wieder. Aliae hatte das Paket nicht einmal geöffnet – und wenn dieses Paar keine besonderen Verpackungsbänder für schöne und schlechte Geschenke besaß, konnte Aliae auch nicht wissen, was im Paket war.

Es musste also einen anderen Grund geben – nur welchen? Aber wichtiger war noch: Wer war ihr Mörder? Ein Gast? Ein Angestellter der EOS? Lhoreda grübelte.

Und sie stieß fast einen Stuhl um, als sie aus ihrer Kabine rannte. Sie hatte die Antwort. Der Arkonide hatte sie ihr geliefert.


„Miss Machecoul, ich hoffe wirklich, dass der Grund so wichtig ist, wie Sie behaupten“, meinte Gharun Ferdinho erregt. Immerhin hatte diese Frau ihn geradezu aus dem Festsaal in sein leeres Büro geschleift.

„Ich brauche Ihr Passwort. Öffnen Sie die Akten für das Schiffspersonal.“

„Worum geht es?“

„Um den Mord.“

„Ich sagte doch, dass Sie-“

„Ich nehme ungern Schulden in ein neues Jahrhundert“, antwortete sie trocken.

Eigentlich hätte er die Frau aus seinem Büro jagen sollen, aber ihr fordernder Blick ließ ihn stattdessen seinen Überrangcode eingeben, der alle Personalakten freischaltete.

„Und nach was suchen Sie?“

„Nach der Bemerkung eines Fluchenden“, lautete die geheimnisvolle Antwort. Einige wenige Stichworte reichten ihr anscheinend, denn als sie die Akte eines Stewarts geöffnet hatte, das konnte Ferdinho noch erkennen, jauchzte sie auf.

„Wo ist sein Einsatzplan für heute Abend?“

Nun spiegelte sich ein zufriedenes Lächeln auf Gharuns Gesicht, denn endlich war er einmal in der überlegenen Position.

„Kommen Sie mit.“

Inzwischen waren es nur noch zehn Minuten bis zum großen Feuerwerk. Auf dem Weg erklärte Lhoreda ihre Vermutung.


Sie zog ihren Ärmelstrahler. Missmutig ruhte der Blick des Kommandanten auf der Waffe: „Man hatte mir versichert, dass Sie keine Waffe tragen würden.“

„Man hatte mir versichert, dass es ein erholsamer Ausflug werden würde. Wir wurden beide belogen.“

Der Weg führte sie zurück in den Spa-Bereich. Dort trennten sie sich.

Einzeln durchquerten sie die Menschenmenge, die sich unter der Aussichtskuppel zusammengefunden hatte, um in acht Minuten das holographische Feuerwerk zu bewundern. Unter den irritierten bis herablassenden Blicken der Gäste durchstreifte Lhoreda die Menge, hielt Ausschau nach einem bestimmten Stewart.

Schließlich entdeckte sie schlohweißes Haar. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und bediente gerade zwei Damen in freizügiger Abendkleidung. Eine perfekte Gelegenheit.

Langsam und zielstrebig arbeitete sie sich von hinten an den Mann heran. Sie griff ihn mit der rechten Hand, schlang diese um seinen Hals und riss ihn zu Boden.

Der Arkonide röchelte. Lhoreda konnte sein Gesicht erkennen.

Und sie ließ ihn los.

Sie fluchte und einige andere Gäste betrachteten sie wie eine zoologische Kuriosität.

Ihr Opfer hingegen kam wieder zu Luft und beschwerte sich hustend. „Sie ... schon wieder? Was fällt Ihnen ein? Ich ... bin Ginor da Kudiron! Finden Sie etwa Gefallen-“, wurde er durch klirrendes Geschirr, aufschreiende Gäste und brechendes Holz unterbrochen.

Lhoreda war sofort auf den Beinen und ließ den wütenden und irritierten Ginor zurück. Mit schnellen Schritten und einem gezogenen Strahler schob sie sich den Weg frei und war schnell am Ursprungsort des Lärms. Sie fand Ferdinho mit dem Gesuchten ringend am Boden. Die schwarze Haut des Kommandanten und die weiße des Arkoniden bildeten dabei einen extremen Kontrast.

Lhoreda bereitete der Prügelei mit einem Strahlerschuss auf eine andere Liege und einem durchdringenden „Stopp!“ ein Ende.

Beide sahen sie irritiert an, bevor dem Kommandanten gewahr wurde, dass er nicht zur Anklage stehen würde. Er stand auf, strich seine Kleidung glatt und zerrte den feingliedrigen Arkoniden hoch.

„Ich lasse mir dieses infame Gehabe nicht gefallen!“, ereiferte sich der Stewart.

„Anthon da Horal, nehme ich an?“, fragte Lhoreda ganz nonchalant und deutete mir ihrem Strahler auf den Mann. „Anthon, ich beschuldige Sie des Mordes an Aliae Ojaris.“

Ein Raunen ging durch die Gästemenge, die sich inzwischen wie ein Publikum um die drei Akteure gescharrt hatte. Lautes Gemurmel erklang.

Der Arkonide entgegnete lediglich mit einem verächtlichen Schnauben. „Wie wollen Sie diese Behauptung beweisen?“

„Versicherungsbetrug“, entgegnete Lhoreda schlicht.

Die Augen des Mannes wurden schmal.

„Wusste ich es doch“, meinte Lhoreda. „Sie haben Aliae getötet, um das Geld ihrer Versicherung zu kassieren. Die Therapierung ihrer Ferm-Krankheit muss ziemlich teuer gewesen sein. Allein eine der Rechnungen belief sich schon auf über fünftausend Galax.“

„Glauben Sie wirklich, ich hätte meine Partnerin getötet, nur weil sie mich zu viel gekostet hat? Ihre rassistische Meinung von Arkoniden kenne ich nicht, aber wir sind kein ehrloses Volk.“

„Aber ein arrogantes“, entgegnete Lhoreda und eine scharf einatmende Welle ging von den Gästen aus. Weiteres Murmeln erklang, das sich aber bald wieder legte.

„Sie haben“, führte sie weiter aus, „Aliae das Paket zukommen lassen, mit den Rechnungen als Füllmaterial und der ... Spieluhr darin. Aliae hat die Aussprache mit Ihnen gesucht und Sie haben den Moment genutzt, sie aus dem Weg zu schaffen. Lediglich zwei“, sie hob eine ebensolche Zahl an Fingern, „Komplikationen haben Ihren Plan verdorben. Erstens haben Sie nach dem Mord nicht mit der Kurskorrektur der EOS gerechnet. Zweitens hatte Aliae das Paket nicht angenommen und Ginor da Kudiron fast niedergeschlagen. Er war wohl in seinem Stolz verletzt und ging dann einfach. ... Achja, und Sie haben nicht mit mir gerechnet. Ich nahm das Paket selbst. Ich wollte es Aliae geben, wenn sie sich beruhigt hätte, doch das hatte sich nach ihrem Tod erübrigt. Also öffnete ich es, um nach möglichen Spuren zu suchen und wurde fündig. Der Rest war nur noch Kombinationssache. Liege ich richtig?“

Voller Hass blickten die albinotisch roten Augen Anthons sie an. Schließlich sackte er im Griff des Kommandanten zusammen und gestand zähneknirschend. „Ja.“

Jemand rief: „Schuldeingeständnis! Hat das jemand aufgenommen?“

Anthon ließ sich davon nicht beeinflussen. „Ich wollte die Schuld Ginor anlasten.“

Besagter anderer arkonidischer Stewart ereiferte sich aus einiger Entfernung lautstark: „Was? Wissen Sie überhaupt wer ich bin? Ginor da Kudiron! Ich-“

„Ich weiß wer du bist, verdammter Thor!“, giftete Anthon ihn an. „Deswegen. Du eitler und arroganter Kerl. Ich wäre der trauernde Partner gewesen und du der aufgeblasene Arkonidenfürst, der einer Mischlingsliebe ein Ende gesetzt hätte.“

Inzwischen waren aus der Menge zwei bullige Matrosen aufgetaucht, die Anthon vom Kommandanten übernahmen. Einer der beiden fixierte die Hände des Arkoniden, dem anderen reichte Lhoreda ihren kleinen Strahler. Bevor er abgeführt wurde, fragte Lhoreda noch: „Nur eines verstehe ich nicht. Warum war Aliae so wütend, als sie das Paket sah?“

Anthon blickte nach unten. Er antwortete entkräftet: „Sie war eine sehr stolze Frau. Hatte mein Geld für die Therapie widerwillig akzeptiert, aber wollte sich danach von mir trennen - wegen dem Geld. Ich hätte sie mit den Zahlungen entehrt. Sie wusste, was ich ihr schicken würde. Und die Rechnungen sollten sie reizen.

Ich war wütend auf sie und hasste sie. Sie hatte mich fast arm gemacht, weil ich wollte, dass sie lebt. Das hätte doch auch umgekehrt funktionieren müssen ...“

Dann wurde er abgeführt.

Noch während das Trio den Saal verließ, bemerkte einer der Gäste, dass bereits Neujahr sei. Nach kurzer Verwirrung, erhob sich eine Welle aus Stimmen und Geräuschen. Glückwünsche wurden ausgetauscht und Sektgläser aneinander gestoßen.

Gharun Ferdinho kam auf Lhoreda zu. Nach dem Kampf mit Anthon war seine Abendkleidung an vielen Stellen zerrissen. Eine seiner Epauletten hing an der Schulter herunter. Er sah Lhoreda mit einem strafenden und lobenden Auge an.

„Sie haben zwar die Silvesterfeier verdorben, aber den Gästen eine wunderbare Show geboten“, flüsterte er.

„Das war mir am Ende recht egal“, gestand sie.

„Beim Landgang auf Plophos werden wir Anthon an die Behörden der Liga übergeben, aber die EOS wird noch über drei Wochen kreuzen. Was haben Sie vor? “

„Erstmal werde ich lange schlafen“, entgegnete sie müde.

Lhoreda fühlte sich jetzt urlaubsreif.