Mittwoch, 4. Mai 2011

[Rezension] Eine Billion Dollar

(Bergisch Gladbach 2003; Verlag Bastei Lübbe; Autor: Andreas Eschbach; (887 S.; 9,95 €)


Klappentext

Der neue Roman vom Autor des JESUS VIDEOS

John Salvatore Fontanelli ist ein armer Schlucker, bis er eine unglaubliche Erbschaft macht: ein Vermögen, das ein entfernter Vorfahr im 16. Jahrhundert hinterlassen hat und das durch Zins und Zinseszins in fast 500 Jahren auf über eine Billion Dollar angewachsen ist. Der Erbe dieses Vermögens, so heißt es im Testament, werde einst der Menschheit die verlorene Zukunft wiedergeben. John tritt das Erbe an. Er legt sich Leibwächter zu, verhandelt mit Ministern und Kardinälen. Die schönsten Frauen liegen ihm zu Füßen. Aber kann er noch jemandem trauen? Und dann erhält er einen Anruf von einem geheimnisvollen Fremden, der zu wissen behauptet, was es mit dem Erbe auf sich hat…

Rezension

Nach meinem kleinen Kurzurlaub zur FedCon XX (Reisebericht siehe hier), geht es jetzt fröhlich weiter:

Wer nicht alles von Geld träumt - und sein Leben lang dafür arbeiten muss! Ich kann sogar Persönliches damit verbinden - die Zeit, als ich normal arbeitete und immer das Gefühl hatte, nichts zu verdienen und alles immer nur in ein großes gefräßiges Loch zu stopfen und die Zeit, in der ich Schüler, Arbeitsloser oder Student war und kaum bis nichts verdiente. Jeder kann Persönliches mit dem Thema Geld verbinden - deswegen dürfte Eschbachs Roman schon vom Grundthema her interessant sein.

Da der Klappentext den Inhalt bereits ganz gut zusammenfasst, will ich mich hier auch mit keiner detaillierten Inhaltsangabe aufhalten, denn die würde den Rahmen sprengen. Der Roman ist eine fast 900-seitige Biografie zu John Fontanelli. Wir erfahren über den New Yorker Pizzaboten italienischer Abstammung fast alles, was es zu wissen gibt - von seiner Schulzeit bis gar zu seiner Entjungferung! John ist der unumstrittene Protagonist des Romans - daher ist es auch gerechtfertigt, aber ich hätte mir an einigen Stellen mehr gewünscht - mehr Einbindung der Nebencharaktere. Malcom McCaine, der "geheimnisvolle Fremde", Johns späterer Geschäftspartner und advocatus diaboli, hätte durchaus einiges mehr an Hintergrund erfahren können, als die etwas lieblosen biografischen Zusammenfassungen.
Ich denke v.a. auch an die kleinen Geschichten nebenbei: Marco, Johns Leibwächter, der sich in in die Sekretärin Malcom McCaines verliebt und sie schließlich heiratet. Ebenso die Liebes- und v.a. Leidensgeschichte von Constantina Volpe interessierte mich sehr. Eine junge und aufstrebende italienische Rechtsanwältin, die im Verlauf des Romans durch ihre Liebschaft mit Johns altem Kumpel Marvin Copeland immer tiefer und tiefer sinkt und schließlich ein Ende erfährt, das mir regelrecht an die Nieren ging. Nur ist das Problem mit diesen Geschichten, dass sie kaum ausgearbeitet werden. Sie sind kleine Versatzstücke und Fragmente und werden teilweise in Nebensätzen abgehandelt. Hier hätte Eschbach meiner Meinung nach noch sehr viel mehr herausholen können - und dafür andere Teile des Romans kürzen. Ich könnte das Schneidemesser zwar an keinem bestimmten Punkt ansetzen, denn vieles fügt sich gut in die Haupthandlung ein oder ergänzt sie, aber in vielen Punkten kommt mir der Roman zu lang vor. Er hat sich gut gelesen, das steht außer Frage! Andreas Eschbach kann gut und interessant schreiben und auf seinem Niveau hätte er mir auch das Telefonbuch abtippen können - nur zieht sich gerade der Mittelteil des Romans an einigen Stellen. 

Doch das soll keine vernichtende Kritik sein! Eschbach schafft es wirklich, mich auf seinen fast 900 Seiten Romantext die ganze Zeit gefesselt zu halten. Dass bei dieser Länge gelegentlich kleinere Durststrecken entstehen, ist leider unumgänglich, doch Eschbach schafft es, an den richtigen Stellen wieder etwas einzustreuen, das mein Interesse erneut entfacht.
Und - so merkwürdig das auch klingt - ich folgte fasziniert seinen Erklärungen zum globalen Zins- und Finanzwesen, der Geldschöpfung, der Tobin-Steuer oder dem Diskontsatz. Ein Schriftsteller, der diese an sich trocken klingenden Themen interessant verpackt, verdient höchstes Lob! Dass er im Anhang des Romans zudem auf fast anderthalb Seiten seine Quellen aufzählt, sagt mir zumindest, dass er sich bei der Recherche einige Mühen gemacht hat. Leider, leider driftet er im Roman selbst allerdings manchmal in einen zu dozierenden Erzählstil ab. Und die überraschenden Wendungen sind an manchen Stellen zu vorhersehbar - allein wenn ich an die Paul Siegels Telefonnummer und ihre spätere Verwendung denke. Hier hätten ein oder zwei rote Heringe zur Ablenkung nicht schaden können. Allerdings liegen die jeweiligen Textpassagen z.T. auch hunderte von Seiten auseinander, so dass ein Gelegenheitsleser den Hinweis vielleicht schon wieder vergessen hat.
Doch Andreas Eschbach ist ein Bestseller-Autor und schafft es trotz dieser Kleinigkeiten (aus meiner Sicht) einen wunderbaren Roman fertigzustellen, der gut ausformuliert ist und spannend darstellt, was es mit der Hochfinanz oder dem Devisenmarkt auf sich hat und wie Geldschöpfung generell funktioniert. Der Leser erlebt all diese Erkenntnisse durch John Fontanellis Figur. Denn der Protagonist, der am Anfang des Romans ein einfacher Pizzalieferant ist, erforscht im Laufe der Handlung all die Details, für die er sich (wie der Leser vermutlich auch) vorher nie interessiert hatte. Was mich an John aber gelegentlich stört, ist seine Naivität und der mangelnde Ehrgeiz. Auch kommt das Romanende für mich sehr plötzlich und war beim ersten Lesen ziemlich unbefriedigend. Beim wiederholten Male muss ich allerdings erkennen, dass Eschbach hier den einzig möglichen Schnitt gemacht hat, denn auch er konnte nicht sagen, wie die Abstimmung zum World Speaker ausgehen wird. Es ist ein Patt zwischen Realismus und Spannung, der hier eingegangen wurde. Die einen werden das tolerieren, die anderen nicht.

Allerdings, das gebe ich gern zu, ist "Eine Billion Dollar" auch nicht die leichteste Kost und man sollte sich zwischen den einzelnen Kapiteln gelegentlich etwas Zeit für eigene Recherchen nehmen. Denn das Buch erklärt nicht nur, wie das heutige System funktioniert, sondern auch, was daran falsch ist - und warum. An vielen Stellen werden reale Begebenheiten diskutiert und man muss sich selbst mit Schrecken fragen, wie das Ganze in der Realität überhaupt funktionieren kann!

Kurzbewertung

Trotz weniger Längen spannendes und unterhaltsames Werk - besonders interessant für alle, die sich mit Wirtschaft und Geldschöpfung in ungezwungenem Rahmen auseinandersetzen wollen.