Freitag, 3. Juni 2011

[Rezension] "Mein fahler Freund"

(Stuttgart 2011; Verlag Klett-Cotta; Autor: Isaac Marion; Übersetzer: Daniel Sundermann; 298 S.; 19,95 €)

 

Klappentext

Das ist die Ironie, wenn man ein Zombie ist: Alles ist komisch, aber man hat nichts zu lachen, weil einem die Lippen verrottet sind.

Mit atemberaubendem Drive und sprühendem Witz legt Isaac Marion den ersten menschlich-warmen Zombie-Liebesroman vor.

"Ein tolles Buch, elegant geschrieben, anrührend und witzig, so verlockend wie ein Häppchen frisches Hirn."
Audrey Niffenegger

"Isaac Marion schlägt einen ganz neuen Ton an, der den Leser von der ersten Seite an am Haken hat."
Josh Bazell

Rezension

Ich bin kein Horrorfan. Das war ich nie. Bei Splatterfilmen schau ich gern weg. Ich bin ein Fan von Psychotrhillern; den menschlichen Geist zu vernichten bereitet mir mehr Spannung als zu lesen, wie man Hirn und Gedärm aus einem menschlichen Körper reißt.
Die Grundvoraussetzungen sind also die gleichen wie bei "Die Messertänzerin". Doch wo Susanne Rauchhaus mich wirklich überzeugen konnte und mir eine bunte Fantasywelt schmackhaft machte, so bietet Isaac Marion eine Postapokalypse und Zombies.

Dennoch kann mich der Roman aus dem Klett-Cotta-Verlag mit einem locken: Der versprochenen Liebesgeschichte. Ich bin kein großer Fan von Romanzen, aber einen Endzeit-Zombie-Roman mit einer Zombie-Mensch-Liebesgeschichte zu vermischen: Das ist ungewöhnlich, unnormal, mutig. Aber auf jeden Fall: Interesse weckend!

Und auf den ersten Seiten konnte mich der Roman wirklich fesseln. Im Vorwort wird aus dem Gilgamesch-Epos zitiert, das ich liebe. Eine Stelle, in der es um die Suche nach Unsterblichkeit geht. Und jedem Kapitel sind Bleistiftzeichnungen aus medizinischen Fachbüchern vorangestellt. Eine Gänsehaut ist schonmal garantiert. Aber, natürlich unterbrochen von blutlüsternenen Szenen und "spritzigen" Einlagen, dreht sich die Geschichte vor allem um R, besagtem "fahlen Freund". Er ist erst seit relativ kurzer Zeit ein Zombie, aber hat wie alle anderen auch seine Erinnerungen an früher verloren. Nur denkt er im Gegensatz zu den anderen häufig nach und sinniert über seine tote Existenz. Der Gegenwart dieser endzeitlichen Welt begegnet er mit Wortwitz und dunklen Humor. Nach außen ist er einer von vielen Zombies, aber in seinem Inneren ist er anders.

Und Isaac Marions schafft es, mit seinem Schreibstil diese geschundene und vergewaltige Welt plastisch darzustellen. Die Abstumpfung der Zombies - aber auch, was noch schrecklicher ist, der lebenden Menschen - und die Sinnlosigkeit ihres Tuns. Marions Formulierungen sind frisch und laden zu Assoziationsketten im Hirn ein.

Leider schafft es der Autor trotz der dunklen, aber witzigen Art nicht, den Roman auf lange Zeit spannend zu halten. Wenngleich das Ende sehr spannend ist und auf ein gut erkennbares Ziel zusteuer, so gilt es im Verlauf des Romans immer wieder Durststrecken zu überwinden - gerade im Umgang mit Julie, für die ich mich so gar nicht erwärmen konnte. Mit seiner Sensibilität überrascht R, aber Julie lässt genau das vermissen. Manchmal erschien mir der Zombie menschlicher als sein Pendant, das noch einen Puls besaß! Ihre Handlungen und ihre ganze charakterliche Art machen es schwer, sich mit ihr identifizieren zu können und sich für sie zu erwärmen.

Noch einmal vielen Dank an den Verlag Klett-Cotta

Besonders interessant und verstörend ist der Nebenplot um Perry Kelvin - bzw. seine Geschichte, die man nur durch R kennen lernt, der ihn getötet und sein Gehirn gefressen. Dadurch hat R einen Teil von Perry in sich aufgenommen und erlebt immer wieder Flashbacks von einem Toten. Und diese Erinnerungen verändern R auch langsam.
Dennoch entstehen allein beim Gedanken an all das grässliche Bilder in meinem Kopf - aber genau das gehört einfach zu einem Zombie-Roman! Denn es sind starke und verstörende Emotionen, die genau das erreichen, was das Genre bewirken will.

Kurzbewertung

Für mich: guter Durchschnitt - für andere: lest selbst. Für Genrefans: Ein Muss!